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12. Oktober 2002, 9:00 / 08.10.02 / 30.09.02

Antisemitismus-Debatte in der BT-Wahlkampagne von 2002
Antisemitische Tendenzen in der FDP?

Karsli wollte und sollte Mitglied in der FDP werden. Zwei falsche Äußerungen, die als antisemitisch bewertet wurden, vereitelten, trotz Distanzierung, dieses Vorha- ben. Vorher war Karsli viele Jahre anstandslos Mitglied der Grünen. Hatte er ab dem beabsichtigten Übertritt zur FDP seine Meinung etwa ungünstig verändert? Mindestens eine der beiden unzulässigen Äußerungen fiel während der Zeit sei- ner Mitgliedschaft bei den Grünen. Hat es irgendwelche Anstalten gegeben, Karsli bei den Grünen auszuschließen? Aber der FDP durfte Karsli nicht beitre- ten. Die Deutschen wollten das nicht; der kollektive Meinungsdruck war so groß geworden, dass wir, die Liberalen, nachgeben mussten. Nachgeben ist selbst- verständlich keine Schande. Bloß, sind wir Karsli damit gerecht geworden?

Die FDP ist eine tolerante Partei, „die keine Verunklarungen ins Diffuse hinein hinnehmen könne“; es wäre allerdings besser, zu formulieren „die keine Verunkla- rungen ins Diffuse hinein hinnehmen will“ – nur ein feiner Unterschied? Sei’s drum Karsli ist kein Mitglied der FDP, das Thema ist erledigt. Die Deutschen wollten nicht, dass Karsli Mitglied in der FDP wurde.

Die Deutschen?

Wer außer Deutschen hat sich an der Debatte beteiligt?

Also: Alle Deutschen, die Mehrheit oder nur eine Minderheit der Deutschen?

Was soll’s: Karsli wurde nicht, Karsli ist nicht. Die Beantwortung der zuletzt gestellten Frage erübrigt sich.

Im Internet-Diskussionsforum der FDP hat jemand geschrieben, dass es auf die Absicht ankomme, um eine begrenzte Zahl von Äußerungen insgesamt als antisemitisch zu bewerten. Wir sind mit einem Grenzfall konfrontiert. Sicher läst sich sagen, die Äußerungen von Herrn Karsli waren gegenüber Juden und Herrn Sharon unfreundlich, auch falsch. Aber er geriet in den Verdacht antisemitisch zu sein – man mag es gar nicht aussprechen - weil er, Karsli, arabischer Herkunft ist. Nicht alle, aber viele werden so gedacht haben. Zulässige Diskriminierung?

Antisemitisch, auch sonst verwerflich, sind die Ausführungen von Adolf Hitler in dem Machwerk „Mein Kampf“, etwa Kapitel 11, „Volk und Rasse“; blind der, dem es beim Lesen dieses Textes nicht kalt im Rücken wird. So das andere Extrem. Wo ist die Grenze? Absicht, da schwer zu ermitteln, hilft nicht weiter. Objektive Kriterien müssten her. Ein heuristischer Ansatz sei versucht.

Es wird allgemein bejaht, dass Antisemitismus in Deutschland zu sehr („zu“, denn Null Antisemitismus gibt es nicht) verbreitet ist, sogar in der feinen Gesell- schaft - etwa ab 22:00 Uhr nach der ersten Flasche Rotwein und zwar mit folgen- den „Motiven“:

  • „Die Juden“ und das liebe Geld
  • Auch deswegen: „die Juden“ und wirtschaftlich/politische Macht
  • „wir“ haben schon genug gezahlt; noch immer werden „wir“ erpresst.
  • Diffuse Ressentiments etwa zu Wucherei oder linkem Handeln

Es ist müßig, sich mit diesen Motiven auseinander zu setzen. Sie sind allesamt rational nicht gerechtfertigt; jedoch emotional, nach 2000 Jahren, leider tief veran- kert. Auch wenn Einzelne in Deutschland eher selten umfassend “so sprechen”, bestimmen in diesem Fall Menge und Falschheit den Befund von Antisemitismus in Deutschland. Immerhin beruhigend festzustellen, dass Fremdenhass (Xeno- phobie) und das Rassenthema im Antisemitismus 2002 keine Rolle spielen.

Auch wenn der beschriebene Antisemitismus in Deutschland keinen Anlass zu wirklicher Sorge gibt, arbeiten insbesondere Liberale am weiteren Abbau von Antisemitismus, denn wir wollen in Deutschland schlicht und ergreifend (viel) we- niger Antisemitismus.

Nun gibt es Deutschland Kreise, die von realem Antisemitismus zehren, sogar einen Teil ihrer politische Existenzberechtigung daraus herleiten; das ist – pau- schal – die Linke. Es gibt außerdem viele, die haben zum Thema Antisemitis- mus ein derart schlechtes Gewissen, dass sie genau wie die Linke allen Ortes Nazigespenster ausmachen, um dadurch ihr eigenes Sein in ein gutes Licht zu rücken; das sind fast immer Konservative. Sozialisten und Konservative verbün- det in der Jagd auf Antisemiten oder unverbesserliche Nazis. Das sind diejeni- gen, die in ihrem Eifer über “ihre” V-Männer sich ein Bild zimmern, das sie selber zwingt vor dem Verfassungsgericht zu klagen, um Nazis und Rechtsradikale zu bekämpfen – ach, sind wir tolle Typen - statt das Thema “politisch” abzuarbei- ten. Als Erklärungsmuster hilfreich: Konservativer Antikommunismus entspricht linker/sozialistischer Anti-Rechts-Phobie.

Dabei sind Anti-Haltungen bei Liberalen definitiv am wenigsten ausgeprägt; schon liberale Toleranz, aus Respekt, sorgt hierfür; und das gilt in gleicher Weise für die liberale Wählerschaft.

Warum ist die FDP wegen Karsli so unter Beschuss gekommen? Dies erklärt sich zum Teil aus Voranstehendem. Ein weiteres kommt hinzu: 18 % bedeutete grob: 6 % traditionelle FDP Wähler plus je 6 % Wähler, die bisher konservativ oder sozialistisch wählten; beide Parteigruppierungen unter schwerem generel- lem Korruptionsverdacht fühlten sich schwer angegriffen, was schon bei der Pro- klamation des 18 % Zieles jedem klar sein musste. Kein Wunder also, dass eine offene Flanke erzeugt und dann voll angegriffen wurde. Mit Erfolg wie wir spätes- tens seit dem 22.9.2002, 18:00 Uhr wissen.

Hinzu kommt vordergründig Schwieriges: Michel Friedman, als sich Wirkung zeigte auch Paul Spiegel, haben der FDP, wie wir wissen, besonders zugesetzt. „Durften“ sie das? Selbstverständlich durften sie das. Dass SPD, CDU/CSU und die Medien über das schlechte Gewissen „der Deutschen“ aktiviert wurden, mö- gen Liberale als unfair bezeichnen; aber so ist nun einmal Politik. Liberale Tole- ranz überwindet die als vordergründig bezeichnete Schwierigkeit: Ausgenommen der Antisemitismus-Provokation des Deutschen Michel Friedman an den Deut- schen Jürgen W. Möllemann, haben und wollen die Liberalen keine Vorwürfe zu erheben. Wir Liberalen kennen die Verhältnisse und konnten wissen, auf was wir uns in Zusammenhang mit dem Projekt „18 %“ einließen. Das Weitere ist hinter verschlossener Tür abzuarbeiten ...

Nachzutragen ist noch: Es sei zulässig die Politik der Regierung Sharon zu kriti- sieren. Aber die Form der Kritik wollen Sozialisten, Konservative und die Partei- gänger von Sharon offenbar bestimmen. Nimmt man nämlich das Resultat „der Debatte“ als Maßstab, war die Kritik an der Politik von Ariel Sharon dann eben doch nicht zulässig. Die zur Antisemitismus-Debatte umfunktionierte Debatte über die Nahost-Politik ist eine Unvollendete. Das ist ein sehr ungemütlicher Zustand, denn Antisemitismus kann dadurch – bedenkt die Nebenwirkungen – nur verstärkt worden sein. Wollen wir Deutschen das?

Wir haben hier viele sehr dringende Probleme, wie schon die Tage nach der Bundestagswahl zeigen. Am Beispiel der Diskussion, die sich an den Versuch Karsli in die FDP aufzunehmen anschloss, hätten wir das Thema „deutsche Vergangenheit“ gut enttabuisieren können. Das muss also nachgeholt werden.

Und:

Die Entscheidungen deutscher Politik heute können, da sie im Einklang mit Men- schenrecht, Völkerrecht und den Prinzipien des positiven, weltweiten Zusammen- lebens stehen, nicht von der so genannten “deutschen Vergangenheit” abhängig sein oder bestimmt sein. Israel und den Juden wäre damit auch gar nicht gedient. Deutsche Politik heute, 2002, muss also so normal sein, wie die, die jede andere zivilisierte Gesellschaft, vertreten durch ihre Staatsorgane, heute macht. Dass zivilisierte Gesellschaften u.a. nur jene sind, die Geschichte korrekt, aufkläre- risch und perspektivisch werteorientiert an die nachfolgenden Generationen ver- mitteln, ist selbstverständlich - dies überhaupt zu erwähnen ist aber die einzige Vorgabe an deutsches Verhalten heute wegen spezifisch “deutscher Vergangen- heit”. Das diffuse Konzept der “Erinnerungskultur” kommt daher in die Akten. Wir wollen heute nicht per “schlechtes Gewissen” zu Verhaltensweisen veran- lasst werden; schon gar nicht von regierenden Damen und Herren; erst Recht nicht von der “Linken”. Zu den Akten kommen auch grobschlächtige Begriffe wie “Moralkeule” oder “Instrumentalisierung von Schande”, weil dadurch Gefühle ver- letzt werden, wie eine Presseerklärung des Zentralrates der Juden vom 8.5.2002 unzweifelhaft erkennen lässt. Das alles muss “so” sein, weil wir den noch immer unzulässig hohen Bodensatz von Antisemitismus schneller zurück- bilden wollen. Sollten diese Überlegungen, niedergeschrieben und veröffentlicht, ihrerseits Verletzungen hervorrufen, müssen wir uns damit selbstverständlich auch befassen. Diese Aussagen wären, zugegeben, dann ihrerseits eine Unvoll- endete.

Fazit: Es gibt zu viel Antisemitismus in Deutschland; aber am wenigsten bei Liberalen; und wir wissen nicht erst seit heute: Am ehesten können Liberale “An- deren” helfen - etwa ihre (Minderwertigkeis)-Komplexe zu überwinden. Liberale Geisteshaltung wird es richten; je eher desto besser. Die Liberalen benötigen aber u.a. 17 oder 19 %, damit wir nicht wieder, wie im Mai/Juni 2002 von SPD und CDU/CSU pharisäerhaft plattgemacht werden.

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